Bloß nicht gackern wie ein Huhn

Als ich vor einigen Jahren gerade meine Hypnoseausbildung ganz frisch abgeschlossen hatte und meinen damaligen Kollegen voller Begeisterung von der Wirkung und den Möglichkeiten einer Trance berichtete, schaute mich eine Kollegin fortwährend sehr kritisch an. Und dann brach es plötzlich aus ihr heraus: „Also, ich schaue dir in Zukunft nicht mehr in die Augen, wenn wir uns unterhalten! Du hypnotisierst mich sonst noch, ohne dass ich es merke. Und dann mache ich Dinge, die ich nicht will und an die ich mich anschließend nicht mehr erinnern kann, z. B. auf einem Bein stehen und gackern wie ein Huhn!“ Alle lachten – und ich lachte mit.

 

Bis heute weiß ich nicht, ob meine Kollegin ihre Aussage ernst gemeint hat oder nur im Spaß. Aber mehr und mehr bekam ich den Eindruck, dass viele Menschen entweder gar kein Bild von Hypnose hatten oder ein eher schlechtes. Wenn ich danach fragte, welche Erfahrungen sie denn gemacht hätten, hörte ich häufig das Stichwort „Showhypnose“. Damit war die Sache klar.

Showhypnose hat mit einer therapeutisch genutzten Trance nur wenig zu tun. Ich gebe zu, Showhypnose ist keine Zauberei und sie funktioniert. Aber wer möchte schon auf einer Bühne vorgeführt werden und kuriose Dinge tun, über die sich andere Zuschauer amüsieren? Das ist schon eine besondere Art von Mensch. Und das weiß natürlich auch der Hypnotiseur, der sich ganz gezielt die richtigen Kandidaten aussucht und mit ihnen seine Show abzieht. Dass Menschen, die ein Problem mit sich herumtragen, eher nicht dazugehören, versteht sich von selbst.

 

Für die therapeutische Arbeit mit Hypnose sind die Techniken, die Show-Hypnotiseure verwenden, nicht brauchbar. Denn derart tiefe bewusstseinsmanipulierende Trancen sind gar nicht nötig, damit Hypnose wirken kann. Bereits wenn sich der Klient nur in einer leichten Trance befindet, können tiefgreifende Veränderungsprozesse angestoßen werden. Dabei merkt der Hypnotisierte selbst oft kaum, dass er sich in einem hypnotischen Zustand befindet. Er fühlt sich vielleicht einfach nur angenehm entspannt oder etwas schläfrig.
Manchmal ist es sogar hilfreich, dass der Klient nicht in eine zu tiefe Trance gerät, wie z. B. bei der Tiefenentspannung. Denn bei zahlreichen Anwendungen sollen die Suggestionen des Hypnotiseurs sowohl sein Unterbewusstsein als auch sein Bewusstsein erreichen.

 

Was ist denn nun aber Hypnose genau?
Es gibt eine ganze Reihe an Definitionen, die aus meiner Sicht aber allesamt nicht wirklich das Wesen und die Wirkung von Hypnose beschreiben können. Mir gefällt am besten folgende Zusammenfassung: Hypnose ist eine Sammlung aus verschiedenen Techniken und Vorgehensweisen, mit dem Ziel, eine Trance zu erzeugen. Mit Hilfe dieses Trancezustands sollen im Klienten bestimmte Effekte erzeugt werden.

Und ebenso wie es verschiedene Techniken der Hypnose gibt, unterscheiden sich auch die dadurch zu erreichenden Trancezustände, beispielsweise Entspannungstrance, interaktive Trance (mit Bildwahrnehmungen), aktivitätsgesteigerte Trance (Zustände erhöhter Energie) oder spirituell geprägte Trance (z. B. mit Erinnerungen an frühere Leben).

 

Viele Menschen haben die Vorstellung, in Hypnose befänden sie sich in einer Art künstlichem Tiefschlaf. Doch bei näherer Betrachtung wird schnell klar, dass es deutliche Unterschiede zwischen Hypnose und Schlaf gibt.

Im Schlaf sind wir nicht mehr aufmerksam für die Dinge um uns herum. Wir hören weder Geräusche noch Stimmen und nehmen keine äußeren Reize wahr; die Reizaufnahme ist sozusagen blockiert. Auch unser Bewusstsein ist nicht aktiv und wir haben keine Orientierung über Zeit und Raum. In der Regel sind wir im Schlaf nicht ansprechbar und erinnern uns nicht an die Dinge, die während unseres Schlummers passiert sind.

 

In der Hypnose dagegen ist unsere Aufmerksamkeit deutlich erhöht. Wir hören jedes Geräusch und jedes Wort, das gesprochen wird, und können auch Fragen des Hypnotiseurs beantworten. Unser Bewusstsein ist zwar eingeengt, aber klar und wach. Wir wissen noch immer, welchen Tag wir haben und wo wir uns befinden. Und auch unser Erinnerungsvermögen wird durch die Trance nicht eingeschränkt.

 

Wenn es also kein Schlaf ist, was ist es dann?  
Um das Wesen der Hypnose besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Arbeitsweise unseres Gehirns. Das ist nicht nur einfach ein Organ mit einer bestimmten Funktion. Vielmehr besteht unser Hirn aus etlichen Einzelteilen oder Arealen. Und jedes einzelne Areal hat eine ganz spezielle Aufgabe. Manche sind für die Steuerung unserer Bewegungen zuständig, andere für die Sprache oder die Emotionen. Wieder andere Bereiche ermöglichen uns das Sehen und Hören oder steuern unseren Stoffwechsel. Jeder einzelne Teil unseres Hirns ist hochspezialisiert. Untereinander sind die jeweiligen Hirnareale vernetzt und kommunizieren miteinander.

 

Nicht immer sind alle Regionen unseres Gehirns gleichermaßen aktiv. Welcher Teil gerade mehr oder weniger gefragt ist, hängt ganz davon ab, welche Funktion wir gerade benötigen. Wenn wir beispielsweise im Liegestuhl entspannen, ist unser Motorikzentrum in dem Moment eher inaktiv. Dieses Areal kümmert sich üblicherweise um die Koordination unserer Bewegungen und kann beim Entspannen einfach runterfahren. Wenn wir nun aber ausgeruht und voller Tatendrang entscheiden, Joggen zu gehen, muss das Motorikzentrum wieder hochfahren bzw. aktiv werden, damit wir uns überhaupt in Bewegung setzen können.

 

Ähnlich funktioniert das auch bei anderen Bereichen unseres Gehirns: Wenn wir Geräusche wahrnehmen, wird das Gehörzentrum aktiviert. Wenn wir uns mit jemandem unterhalten, kommt vor allem das Sprachzentrum zum Einsatz. Wenn wir eine Reihe von Matheaufgaben lösen wollen, springt der Teil unseres Gehirns an, der für das logische Denken zuständig ist.

Das Gehirn ist ein wahrer Hochleistungscomputer. Und Achtung: Es aktiviert die jeweiligen Areale sogar dann, wenn ich nur an eine bestimmte Sache denke! Ich muss es mir einfach nur vorstellen. Das heißt, wenn ich nur darüber nachdenke, mich sportlich zu betätigen, wird mein Motorikzentrum automatisch angekurbelt. Wenn ich mich dagegen gedanklich entspannt im Liegestuhl sehe, kann das Motorikzentrum wieder runterfahren.

 

Und jetzt kommen wir zurück zur Hypnose, denn sie macht sich diese Fähigkeit unseres Gehirns bewusst zunutze. Die Hypnose regt mit ihren verschiedenen Techniken und Trancezuständen bestimmte Hirnaktivitäten an, die von selbst eigentlich nicht aktiviert worden wären. Die Worte des Hypnotiseurs stimulieren über das Sprachzentrum gezielt diejenigen Bereiche, in denen eine Veränderung erreicht werden soll. Eine tolle Sache!

 

In diesem Zusammenhang ist immer wieder auch von unserem Unterbewusstsein die Rede - ein weiteres Mysterium, das es sich näher anzuschauen lohnt. Was es mit dem Unterbewusstsein genau auf sich hat, das verrate ich Ihnen in einem meiner nächsten Artikel.

 

 

Mit hypnotischen Grüßen
Ihre Petra Syring